Überall nur strahlende Gesichter

  23.12.2022    TSV Schmiden Handball Jugend Männer Männer 1 Frauen
Das Benefiz-Handballspiel zugunsten der schwerst mehrfachbehinderten Fenja zwischen den Handballern des TSV Schmiden und dem mit einigen ehemaligen National- und Bundesliga-Spielern besetzten Team Fenja endet am Mittwochabend mit einem 33:33-Remis.

In der Schlussphase musste das Team Fenja tief in die Trickkiste greifen. Der Torwart Chrischa Hannawald übernahm von Schiedsrichter Mike Klinger die Pfeife, und der Trainer Pascal Morgant schickte einen siebten Feldspieler aufs Parkett – ohne den Schlussmann Daniel Sdunek auf die Bank zu beordern. Die rund 500 Zuschauer, die am Mittwochabend zum Benefiz-Handballspiel für die schwerst mehrfachbehinderte Fenja zwischen dem Württemberg-Ligisten TSV Schmiden und dem mit einigen ehemaligen National- und Bundesliga-Spielern besetzten Team Fenja gekommen waren, hat es gefreut. Ex-Nationalkeeper Chrischa Hannawald, der aus Ravensburg angereist war, hatte mit seinen kuriosen Entscheidungen, die das Team Fenja wieder Tor um Tor an den Gegner heranbrachten, die Lacher auf seiner Seite. Zum Schluss freuten sich alle Beteiligten in der Schmidener Sporthalle über das 33:33-Remis. Und das Publikum honorierte den Auftritt mit Standing Ovations.

Zum Publikumsliebling ist während der 60-minütigen Partie Niko Kappel avanciert. Der kleinwüchsige Kugelstoßer, der 2016 mit dem Gewinn der Goldmedaille bei den Paralympics in Rio de Janeiro seinen bisher größten Erfolg feierte, hatte es zur eigenen Überraschung in die Startformation des Teams Fenja um den Coach Pascal Morgant geschafft. Eigentlich hatte der 27-Jährige erst ein bisschen zuschauen wollen. „Das letzte Mal, dass ich Bälle aufs Handballtor geballert habe, ist schließlich 15 Jahre her“, sagte der Fan des Bundesligisten TVB Stuttgart. Damals habe er bei seinem Heimatverein TSF Welzheim immer den Handballern zugeschaut – und in den Pausen und nach den Spielen mit den Kumpels aufs Tor geworfen.

Am Mittwoch spielte Niko Kappel im Angriff auf Linksaußen und in der Abwehr neben Markus Baur, dem Handball-Weltmeister von 2007, mit dem er schon auf dem Golfplatz unterwegs war. „Eigentlich hätte ich ja gerne gegen ihn gespielt“, sagte Niko Kappel grinsend. Für ihn sei es keine Frage gewesen, beim Benefizspiel mitzumachen. „Das ist einfacheine tolle Sache. Wenn so etwas in der Region auf die Beine gestellt wird, komme ich sehr gerne.“

15 Minuten ist Niko Kappel in der ersten Hälfte auf und ab gerannt und hat nach Anspiel von Markus Baur auch ein viel umjubeltes Tor vom Kreis erzielt. Dann allerdings ging ihm die Puste aus. „Das letzte Mal, dass ich so viel gelaufen bin, war vor drei Wochen im Trainingslager. Da musste ich mal 20 Minuten joggen. Laufen ist nicht so mein Ding“, sagte er. Für Pascal Morgant ein Zeichen, eine Auszeit zu nehmen und sein Team kräftig durchzumischen. „Ich werde nach Konditionsstand wechseln“, hatte der 47-Jährige, der bis November 2021 den damaligen Württemberg-Ligisten TSV Alfdorf/Lorch trainiert hat und jetzt wieder als Industriemechaniker arbeitet, vor dem Anpfiff gesagt.

Keine Konditionsprobleme hatte Craig Tigges. Zumindest sah man die dem 45-jährigen Torwart nicht an. Er teilte sich den Job zwischen den Pfosten mit Daniel Sdunek und Chrischa Hannawald. Und wie Letztgenannter kann auch Craig Tigges auf Einsätze in der Nationalmannschaft blicken – der britischen, wohlgemerkt. Diese sei, sagt der vor Jahren im Murrtal heimisch gewordene Handballer, eigens für die Olympischen Spiele 2012 in London ins Leben gerufen worden. Von 2005 bis 2008 gehörte auch er zum Kader. „Dann kam ein neuer Trainer aus Dänemark und hat mich rausgeworfen. Ich war ihm zu klein“, sagt der 1,72 Meter große Torwart.

Später spielte er nur noch für die englische Nationalmannschaft, mit der er 2007 bei der EHF Challenge Trophy, einem Turnier für leistungsschwächere Nationalteams, die Bronzemedaille gewann. Nach Schmiden ist der Torwart-Ruheständler nicht nur des guten Zwecks wegen gekommen, sondern auch wegen eines Autogramms von Markus Baur. „Ich habe mir 2007 nach dem WM-Finale in Köln ein Stück des Hallenbodens gekauft. Das habe ich mitgebracht, und jetzt hat er es mir endlich unterschrieben“, sagte er und strahlte. Überhaupt gab es am Mittwoch nur strahlende Gesichter – nach erfolgreicher Autogrammjagd, nachgeglücktem Fotoshooting oder am Stand der gut bestückten Tombola.

Markus Baur und Chrischa Hannawald („Für Kinder muss man immer ein offenes Ohr und ein Herz haben“) ließen dann in der Halbzeitpause auch die Eltern der vierjährigen Fenja strahlen. Hannawald, der in der vergangenen Saison noch als Torwarttrainer beim Drittligisten TSV Blaustein tätig war und eine Handballschule betreibt, schenkte Trikots, Baur brachte einen Scheck in Höhe von 1000 Euro mit. Diesen überreichten Silke Reichmann, Vorstandsmitglied der Bühler-Health-Care, sowie die Vertriebsmanagerin Sabine Schneider. Markus Baur hatte vor seinem Engagement als Göppinger Bundesliga-Trainer dort vier Jahre lang das Ressort Sport und Ernährung geleitet.

Als großen Erfolg bezeichnete auch Markus Engelhart, gemeinsam mit Sven Zeidler Abteilungsleiter der Schmidener Handballer, das Benefizspiel. „Über das rein Sportliche hinaus ist uns auch das soziale Engagement sehr wichtig. Das macht das Vereinsleben erst aus und auch komplett“, sagte Markus Engelhart.

erstellt von Susanne Degel von der Fellbacher Zeitung

 

Stimmen zum Benefizspiel

Kathrin Raiser, ehemalige Handballerin des TSV Schmiden: „Ich kenne das kleine Mädchen zwar nicht, aber ich finde es toll, dass man auf diese Weise die Familie unterstützen kann. Für mich war klar, dass ich mir das Spiel anschaue. Zumal ich es total faszinierend finde, welche Spieler da sind. Wer hätte gedacht, dass der Weltmeister Markus Baur mal in unserer Halle spielt.“

Wolfgang Bürkle, langjähriger Abteilungsleiter der Handballer des TSV Schmiden: „Das ist eine fantastische Aktion. Ich hätte nicht gedacht, dass kurz vor Weihnachten so viele Zuschauer in die Halle kommen. Aber das zeigt, dass die Leute doch noch alle ein großes Herz haben.“

Ilona Hoffmann, 35 Jahre lang Handballerin beim TV Möglingen: „Die Aktion finde ich voll genial. So etwas muss man einfach unterstützten. Und das Team Fenja verkauft sich wirklich richtig gut.“

Stefanie und Olaf Kirstein, Eltern von Fenja: „Wir hätten nie gedacht, dass so viele Menschen kommen. Irgendwie standen wir die ganze Zeit fassungslos daneben, konnten nicht glauben, was da für ein Film abläuft. Ein tolles Weihnachtsgeschenk ist das für uns. Wir hatten zuvor noch nie ein Handballspiel live gesehen. Gut möglich, dass wir noch mal in der Halle auftauchen.“

 

Nachgefragt

„Ich wollte mich nicht blamieren“

Markus Baur, Handball-Weltmeister von 2007, spricht über seinen Auftritt beim Benefizspiel und seine Arbeit beim Bundesligisten FA Göppingen.

Mit 712Toren in 228 Länderspielen ist Markus Baur einer der erfolgreichsten deutschen Handballer. Sein größter Erfolg war der Gewinn des Weltmeistertitels 2007 im eigenen Land. Seit kurzem trainiert der 51-Jährige den Bundesligisten Frisch Auf Göppingen. Am Mittwoch war er zu Gast in Schmiden und ließ beim Benefizspiel für die schwerstmehrfachbehinderte Fenja noch einmal sein Können aufblitzen.

Herr Baur, wie groß war Ihr Spaßfaktor auf einer Skala von eins bis zehn?

Zwischendurch war er mal nicht ganz so hoch, vielleicht bei sieben. Aber sonst war er schon immer nah an der zehn.

Sie haben nicht gezögert, als Sie gefragt wurden, mitzuspielen. Warum?

Zum einen habe ich selbst drei gesunde Kinder. Dafür bin ich sehr dankbar. Zum anderen ist es eine Selbstverständlichkeit für mich, dass ich so eine Aktion unterstütze.

Dominierte der Ehrgeiz das Spiel zu gewinnen oder das Ziel, sich in den Dienst der guten Sache zu stellen und den Zuschauern ein attraktives Spiel zu bieten?

(lacht) In erste Linie ging es darum, sich nicht zu blamieren – das ist mir nicht immer gelungen. Aber klar, das Ergebnis ist absolut zweitrangig, der Spaß steht im Vordergrund.

Am Montag dürfte das anders aussehen. Sie spielen mit Frisch Auf Göppingen beim Tabellenvierten SC Magdeburg.

Klar, da gehen wir natürlich hin, um zu gewinnen. Man will schließlich immer jedes Spiel gewinnen. Aber zugegebenermaßen wird das beim amtierenden deutschen Meister ziemlich schwierig werden.

Weihnachten wird im Hause Baur also weniger erholsam sein. Wie sieht der Trainingsfahrplan bis zum Spiel aus?

Den Heiligabend haben alle frei. Den verbringe ich auch mit meiner Familie. Am ersten Feiertag wird aber wieder trainiert und danach geht es dann direkt nach Magdeburg.

Wo glauben Sie wird Ihr Team am Saisonende noch landen können?

Wir wollen uns von Spiel zu Spiel weiterentwickeln und auf der Leiter nach oben eine Sprosse nach der anderen nehmen. Zeitnah wollen wir aber möglichst schnell nichts mit den letzten beiden Plätzen zu tun haben.

Das Gespräch führte Susanne Degel.

 

Informationen

Aicardi-Syndrom Weltweit weiß man von knapp 400 Mädchen, die an diesem Gendefekt leiden. Fenja aus Schmiden ist eines davon. Die dadurch schwerst mehrfachbehinderte Vierjährige wird wohl nie stehen, laufen, eigenständig sitzen, sprechen oder lachen können.

Außenaufzug Um Fenja wie bisher trotzdem ein abwechslungsreiches und förderndes Leben bieten zu können, benötigt die Familie einen Außenaufzug, um in ihre Wohnung im dritten Stock zu gelangen. Kostenpunkt: rund 98 000 Euro. Für die Finanzierung gab es bereits zahlreiche Spendenaktionen wie Basare, Kuchenverkauf oder eine Tattoo-Aktion. Zuletzt fehlten zur Realisierung des Bauvorhabens noch 8000 Euro. Ein großer Teil davon dürfte am Mittwochabend bei dem Handball-Benefizspiel in Schmiden zusammengekommen sein.

Spenden Hierfür hat die Familie einen Spendenaufruf bei Gofundme.com gestartet: gofund.me/b778f982. Außerdem wurde bei der Kreissparkasse Waiblingen ein Spendenkonto eingerichtet: Fenja Kirstein, IBAN: DE52 6025 0010 1002 2175 77, BIC: SOLADES1WBN.

Informationen Wer weitere Fragen hat, kann sich an Fenjas Oma Sabine Sawall wenden. Sie ist per E-Mail erreichbar unter fenjas.aufzug(@)gmail.com