Die etwas andere Weltmeisterschaft

  12.01.2021    Handball Jugend Männer
Die deutschen Handballer um den Göppinger Marcel Schiller starten am Freitag mit dem Spiel gegen die Auswahl Uruguays ins Turnier. Der Gastgeber Ägypten lässt nun doch keine Zuschauer zu. In Fellbach wird die Veranstaltung kritisch gesehen.

Noch bevor bei der Weltmeisterschaft in Ägypten der erste Handball durch die Halle geflogen ist, hat diese Veranstaltung reichlich Gesprächsstoff geliefert. Gerade in Deutschland wird sie eifrig diskutiert. Ist es vertretbar, während dieser Corona-Pandemie ein sportliches Großereignis stattfinden zu lassen? Aus gesundheitlichen Gründen und weil zugleich die Amateurvereine wie der SV Fellbach, der TSV Schmiden oder auch der TV Oeffingen noch nicht einmal in den heimischen Hallen trainieren dürfen. Eine erste Antwort hierzu hatte bereits Anfang Dezember Patrick Wiencek geliefert. Der Kreisläufer vom Champions-League-Sieger THW Kiel hatte persönliche Konsequenzen gezogen und seine Teilnahme aus familiären Gründen abgesagt. Es folgten ihm Fabian Wiede (Füchse Berlin), Finn Lemke (MT Melsungen), Steffen Weinhold und Hendrik Pekeler (beide THW Kiel). Ihre Mitspieler zeigten zum Teil Verständnis, andere wiederum kritisierten die Entscheidung.

Bei den Titelkämpfen in Ägypten sollten ursprünglich Zuschauer in die Hallen gelassen werden. Doch auch hiergegen hatte sich schnell Widerstand geregt. 14 Spielführer forderten in einem Brief an den Weltverbandspräsidenten Hassan Moustafa, die Begegnungen ohne Besucher stattfinden zu lassen. Und tatsächlich wurden sie am Sonntagabend erhört. „Die Nachricht freut mich sehr, weil sie sehr vernünftig ist. Man hat die Sorgen der Spieler sehr ernst genommen“, sagte der deutsche Tormann Johannes Bitter (TVB Stuttgart), einer der Initiatoren des Protests, vor dem WM-Auftakt am  Mittwoch.

In Fellbach ruht der Handball zurzeit, die Spieler der örtlichen Vereine halten sich individuell fit und warten auf die Entscheidung, ob der Spielbetrieb in dieser Saison wieder aufgenommen wird.  Sebastian Bürkle vom TV Oeffingen, der früher auch beim TSV Schmiden gespielt hatte, freut sich auf die Begegnungen im Fernseher. „Ich bin glühender Handballfan und werde die Spiele dieser WM anschauen, ich drücke dem deutschen Team die Daumen“, sagt der 30-Jährige. Er ist zwar Handballfan, jedoch kein Fan dieser WM. Sebastian Bürkle sieht es als falsches Signal an, während dieser Corona-Pandemie dieses Turnier auszurichten. Speziell vor dem Hintergrund, dass die Amateurvereine ums sportliche Überleben kämpfen, während in Ägypten die Bälle durch die Hallen fliegen.

Er wird die Spiele dennoch verfolgen und vor allen auf Marcel Schiller achten. An den Außenspieler aus Göppingen kann Sebastian Bürkle sich noch aus der gemeinsamen Zeit in der Jugendauswahl erinnern. Damals wurde er selbst gar - zusammen zum Beispiel mit Hendrik Pekeler - zu einem Sichtungslehrgang des Deutschen Handball-Bunds (DHB) eingeladen; Marcel Schiller nicht. „Es ist schon beeindruckend, wie so eine Karriere laufen kann“, sagt Sebastian Bürkle, der heute bei der Polizei tätig ist.

Sein Oeffinger Mitspieler Simon Bauer, 31, ist beruflich als Bauleiter und Prokurist eingespannt, doch in einer freien Stunde möchte auch er mal ein WM-Spiel im Fernseher verfolgen. „Aber die Absagen kann ich voll und ganz nachvollziehen, ich hätte wohl auch auf einen Einsatz verzichtet“, sagt Simon Bauer, der mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern in Kleinheppach wohnt. Von dieser Woche

an kommt zum beruflichen Alltag auch noch ein Online-Training mit seinem Team dazu. Die Mannschaft um den Trainer Pascal Diederich möchte für eine mögliche Fortsetzung der Saison in der Verbandsliga gewappnet sein. Sollte das gemeinsame Training in der Halle im Februar wieder möglich sein, soll der Ligabetrieb nach Aussage des Handballverbands Württemberg (HVW) drei Wochen später wieder starten.

Der Rückraumspieler Matthias Fischer vom TSV Schmiden blickt schon weiter nach vorn. Ihm wäre es am liebsten, wenn diese Runde annulliert und die neue Saison in der Baden-Württemberg-Oberliga im September starten würde. Am Freitag, 18 Uhr (mitteleuropäische Zeit), wenn die deutsche Nationalmannschaft in Madinat as-Sadis min Uktubar mit dem Spiel gegen die Auswahl Uruguays ins Turnier startet, wird wohl auch er vor dem Fernsehgerät sitzen. „Ich bin Handballer mit Leib und Seele, ich schaue die WM gern an“, sagt der 25-Jährige, der jedoch ob der aktuellen Lage überrascht war, dass die Veranstaltung überhaupt stattfindet. Einen Verzicht des deutschen Teams hätte er indes als falsches Signal verstanden.

Alexander Schuhbauer vom Ligakonkurrenten SV Fellbach fiebert bei Länderspielen grundsätzlich nicht mit. „Und die Begleitumstände machen es jetzt nicht besser“, sagt der 26-Jährige, der zurzeit in seinem Wohnort Kernen an seiner Doktorarbeit im Fach Kunstgeschichte arbeitet und deshalb ohnehin viel zu tun hat. Sein Mitspieler Moritz Schäfer dagegen wird wohl schon ein paar Begegnungen verfolgen. „Auch wenn man hinterfragen muss, ob es in dieser Situation sinnvoll ist, eine WM zu spielen“, sagt der 28-Jährige mit Wohnsitz in Fellbach. Für die Absagen einiger Nationalspieler hat er Verständnis. Mehr als auf das Turnier in Ägypten schaut Moritz Schäfer aber auf die eigene Handballkarriere. Er hofft, bald wieder in die Halle zu dürfen und auch spielen zu können: „Wir haben uns ja im vergangenen Sommer als Mannschaft nicht vier bis fünfmal in der Woche getroffen, um jetzt nur allein über den Kappelberg zu laufen.“ Doch die Zweifel bleiben - an der Fortsetzung der Saison wie auch an der Sinnhaftigkeit dieser Weltmeisterschaft.

erstellt von Maximilian Hamm von der Fellbacher Zeitung